Asphalt Arbeiten – Repairs

POSTED : March.2019

Impuls für die hier vorliegenden Arbeiten war ein Foto, das ich 2003 bei einer Reise durch den Westen der USA in Utah gemacht habe (Seite 97). Es zeigt ein Stück rot asphaltierte Landstraße mit einem gedoppelten gelben Mittelstreifen und einem groben amorphen Linienraster darauf. Das Besondere daran war, dass es in der vertikalen Fotoansicht wie eine Art abstrakte Zeichnung wirkte. Diese Aufnahme gab mir nach längerer Betrachtung eine neue Blickadresse für mein damaliges Motivrepertoire an. Zunächst war ich einfach nur fasziniert von der kompositorischen Aussage. Aber je mehr ich meine Seh-Sensorik mit diesen asphaltierten Zeichenobjekten konfrontierte, desto mehr befasste ich mich mit ihrem tieferen Bildgehalt. Mir gefiel auch die Möglichkeit, dass ich mit mittels der Wahl des Bildausschnitts eine vollkommen eigenständige Zeichnung kreieren und sie aus ihrem realen Kontext lösen konnte. Ungewöhnlich war auch dass sich diese Linien-zeichnungen auf einem völlig unkonventionellen Trägermaterial befanden. Nicht Papier sondern die homogen gekörnte dunkle Oberfläche des profanen Werkstoffs Asphalt mutierte zum reizvollen Bildträgermaterial.

Es war der Anfang einer interessanten Motivreihe, die sich sowohl standortunabhängig wie auch als inhaltlich ausbaufähig erwies. Visuelle Entdeckungen waren in meiner nächsten Umgebung genauso möglich wie an fernen Orten dieser Welt. Das Wissen, dass es sich um globales Thema mit spezifischen Erscheinungsformen handelte, gab mir den letzten künstlerischen Drive dieses Sujet in seinem ganzen Spektrum weiter zu verfolgen (zum Katalog Asphalt Arbeiten).

Die frühen Fotoserien standen alle unter dem Arbeitstitel „Repairs“, Es waren Abbilder, die realistisch betrachtet auch tatsächlich Reparaturspuren auf einer beliebigen Asphaltfläche waren. Der Aspekt, dass es sich dabei auch um die Darstellung von anonymen, rätselhaften Formen mit ausschweifenden Dimensionen handelte, verstärkte mein künstlerisches Interesse. Gleichzeitig gefiel mir ihr origineller Anblick und die reduzierte Ausdrucksform.

Das erste Fotoprojekt „Winterbach Drawings“ skizziert einen Straßenzug aus meiner nächsten Umgebung, der vollständig mit dem Teerpinsel saniert und entsprechend bemalt wurde. Als ich die Flächen sah, war ich hingerissen und blendete den profanen Anlass ihrer Erscheinung komplett aus. Sie erschienen mir als der Inbegriff reiner Kunst zu sein, stringent nur den eigenen funktionalen ideellen Werten zu folgen. Mir fielen dazu Marcel Duchamps „Ready mades“ ein und war entzückt von diesen chaotisch anmutenden Linien und Zeichen, die sich jenseits menschlichen Schöpfertums befanden.

Ein Kunstwerk existiert dann, wenn
der Betrachter es angeschaut hat.
Bis dahin ist es nur etwas,
das gemacht worden ist
und wieder verschwinden kann,
ohne dass jemand davon weiß.

Marcel Duchamp

 

Es war mir bewusst, dass sich meine individuelle Wahrnehmung von der tristen Wirklichkeit abwandte und die Kausalitäten daraus verbannte. Im Vordergrund stand nicht mehr die Trivialität eines ausgeführten Reparaturauftrags irgend eines unbekannten Straßenarbeiters der sorgfältig Risse und Spalten mit dem groben Teerpinsel versiegelte. Sondern vielmehr spürte ich das bestimmende Diktat davor, nämlich dass unbekannte Kräfte aus Umwelt und Natur die eigentlichen Gestalter waren. Rational in der Ursache, irrational genial in der Wirkung. Es entstand dabei eine kühne, extravagante provozierende Zeichensprache, unverfälscht mit höchstem Abstraktionsgrad und dennoch nicht wahllos. Formen, die mit einer fast mystischen Logik geschaffen wurden ohne sie jemals preiszugeben.

( zu Website Vertical Marks)