Projekt VERTIKAL

POSTED : February.2023

Die Senkrechte in Form von Linien, Streifen oder Feldern als Stilmittel der abstrakten Kunst hat mich zum ersten Mal bei den monumentalen Farbgemälden von Barnett Newman beeindruckt. Im Besonderen das Acrylbild „Voice of Fire“. Sein kolossales Format von 543 x 243 cm und der symmetrischen Strenge von nur drei Blau-Rot-Blau Streifen macht die Vertikale zu einem ästhetischen und visuellen Ereignis. In seiner extremen Reduktion spürt man Erhabenheit und spirituelle Tiefe gleichermaßen. Ein Werk, das die Form dreier farbiger Felder insofern verlässt, da die Wahrnehmung nicht mehr vorrangig der puren Form gilt, sondern eher einem, im kantischen Sinne transzendenten Kraftfeld dahinter. Ein Phänomen, das in seiner metaphysischen und sinnlichen Ausstrahlung mehr zeigt und preisgibt als seine profane Farboberfläche überhaupt darstellen kann.(siehe Buch Vertikal)

DAS PHÄNOMEN DER SENKRECHTEN – ein vertikal-orthogonales Bildprojekt 

Der lateinische Begriff „Axis Mundi“ heißt übersetzt, „die Weltachse“ oder die „Weltsäule“. Sie veranschaulicht in monumentalster Form als übergeordnete und grundlegende mythologische Metapher, die Vertikale oder auch Senkrechte.Sie gilt sowohl als geometrische Grundform wie auch als ein geistiges Objekt in vielen Kulturen unserer Welt. Sie wird in archaischen Weltbildern als die Verbindungslinie zwischen den Zentren von Himmel und Erde beschrieben. In prähistorischen Aufzeichnungen und Darstellungen wird sie oft als Achse, Baum, Säule oder Leiter beschrieben. In ihrer universell archaischen Begrifflichkeit stecken die Idee und das Prinzip von Unendlichkeit, Wachstum, Bewegung oder auch der aufrechte Gang des Menschen. Ihrem Wesen nach ist sie aktiv emporstrebend, aufwärtsgerichtet, wenn man so sagen will, wie ein architektonisches Grundmuster – stehend, fest, stabil und nach oben gerichtet.

Zur DNA der Bilder

Basierend auf der sechsteiligen Paneel Installation „Metamorphosis“ aus dem Jahre 2021 (siehe Bild oben)  entstanden in den folgenden knapp zwei Jahren bis Ende 2022 das vertikal-orthogonale Bildprojekt „VERTIKAL“. Aus den sechs unterschiedlichen senkrechten Linienraster („Grid“ genannt) wurden zahlreiche vertikale Bildgrafiken entwickelt. Ihr artifizieller Bildaufbau und Komposition wurden aus eben diesen Linearrastern entnommen und als grafische Objekt-Unikate realisiert. Die durchgehende Formatgröße von 160 x 60 cm wurde vom Tafelmaß der „Metamorphosis“- Installation vorgegeben. Ihre jeweiligen Grundraster definierten so die Gestaltung der gesamten Grid Serie bis ins Detail.

Interessant bei der Bildgestaltung der Grid Serien I – VI war nicht nur der sichtbare Linienraster, sondern im Verbund auch seine Zwischenräume, deren Belegung mit Farbe erst eine durchgängige Flächigkeit möglich machte. Dabei entstanden sozusagen „systematische Bildobjekte“, die sich aus Linien, Streifen, und Feldern zusammensetzten und die Ordnung des jeweiligen Grundrasters verborgen reflektierten. Innerhalb dieser Lineaturen und Flächennetze war vieles möglich.

Fast spielerisch versuchte ich aus den Grid-Baukästen reduzierte Bildkonstrukte abzuleiten, die letztlich bestimmte Themengruppen hervorbrachten. Dazu gehören minimalistische Flächen- und Linienkompositionen, Turm- und Säulengebilde, Grenz- und Messlinien Motive oder einfach farborientierte Streifenbilder. Alle Motive haben in ihrer flächigen Erscheinungsform eines gemeinsam, sie verwenden orthogonale Geometrien, die eine Bildsprache sprechen ähnlich die der Architektur. Die unsichtbaren Liniennetze, die unter allen Bildobjekten liegen sind sozusagen die DNA des Bildes. Eine ästhetische Beschränkung, die in ihrer konsequenten Anwendung, Strenge, Klarheit, Genauigkeit und Vielfalt hervorbringt und gleichzeitig auch bildnerische Logik kommuniziert. Eine Bildästhetik, die sich vor dem abstrakten Kunstbegriff tief verneigt aber auch versucht unbekannte Wege zu entdecken.

 

 

 

Color Stripes Serie

Die folgenden vertikalen Farbstreifen Objekte sind farbfokussierte Übertragungsmontagen, die aus extrem hochprojizierten Digitalfotografien stammen. Jede der Farbstreifen repräsentiert ein selektiertes Farbpixel aus einer anonymen Fotografie. Der importierte Farbwert wurde für eine bestimmte Farbreihencollage verwendet das eine besondere Erscheinungsfarbcharakteristika verkörpert. Aus einem realen Abbild entstand eine abstrakte Bildgrafik, die nichts mehr von ihrer Bildquelle übriglässt. Es manifestiert sich sowohl ein neuer Inhalt wie auch eine neue Gestalt. Dasselbe gilt auch für die „Square Reihe“ im nachfolgenden Teil.

Renaissance Serie

Ähnlich ist es bei der Renaissance Serie. Der Unterschied besteht darin, dass die Bildquelle konkret benannt und auch gezeigt wird. Hier wurden farbrelevante Bildausschnitte von Gemälden einiger bekannten italienischen Renaissance Maler der Cinquecento Epoche ausgewählt, die die Farbpaletten ihrer Meister zeigen. Die Farben wurden aus einer Druckvorlage sorgfältig selektiert und für eine Streifensequenz arrangiert. Dabei stellte ich fest, dass ihre Abstraktion eine erstaunliche Nähe zum figürlichen Ursprungsbild aufbaute. Nachvollziehbar in seinem farblichen Inhalt wird hier das 12-streifige Bildobjekt in seiner Farbcodierung zu einem sensitiven Gegenstand, der die charakteristische Farbenwelt der Renaissance skizziert.

 

 

 

Landscape Serie

Der Bildaufbau der Landscape Serie ist auf den ersten Blick widersprüchlich und unlogisch, da die Vertikale hier in ein Querformat gezwungen wird und ihr wichtigstes Merkmal die Senkrechte sich nicht gebührend entfalten kann. Im Mittelpunkt dieser Reihe steht ein breit gefächertes Farbspektrum aus Vertikalstreifen. Achtzig Farbfelder zeigen eine ungeordnete Farbkarte bestehend aus Voll- und Zwischentönen zusammen mit einer Vielzahl von Grauwerten.

Die Merkfähigkeit von längeren Farbsequenzen können vom Sehapparat nicht optimal erfasst werden, da den Rezeptoren des Auges in Verbindung mit der neuronalen Leistung des Gehirns Grenzen gesetzt sind. Dieses Faktum hat mich bewogen einen bestimmten Bereich aus diesem 80-streifigen Farbfeldobjekt heraus zu selektieren.

 

 

Das Extrakt

In der gleichen Formatgröße transformiert sich nun das Extrakt zu einer völlig neuen Farbcharakteristika. Interessant ist, dass auch nach längerer Betrachtung nicht gleich der kongruente Bildausschnitt im Ausgangsobjekt zu orten ist und deshalb vielleicht auch eine andere Farbrealität entsteht im Vergleich zu seinem komplexen Ursprungsbild. In Wirklichkeit, so glaube ich, entstand tatsächlich ein neues Bildobjekt, das sich von seinem vorausgehenden Kontext abnabelte und so eine vollkommen neue Bildrealität entfaltet.

 

 

 

Black Line / Color Line Serie

Vertikale schwarze Linien unterschiedlich dick, alle gleich hoch und in verschiedenen Abständen nüchtern auf eine weiße Fläche gedruckt – wer kennt sie nicht? Barcodes sind globale Zeichen unserer digitalen Zeit. Als vertikal ausgerichtetes Liniensystem, das mit unterschiedlichen Abständen und Stärken eine grafisch markante Wirkung erzeugt, hat mich als Vorlage für das „VERTIKAL“ Projekt ästhetisch angesprochen und auch bildnerisch provoziert.

Die reduzierte Strichästhetik gefiel mir sehr, weil sie durch einfache Veränderungen der Strichmodi – Rhythmus, Takt und Bewegung auf der freien Fläche darstellbar machte. Es entstanden grafische Zeichensequenzen, die eine Art visuelle Musik artikulierten. Grafische Akkorde und Intervalle konnten sichtbar und erlebbar gemacht werden. Ich verband damit ein anderes „Hören“ eben nur mit den Augen.